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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 05.11.2007
Aktenzeichen: 3 Ws 635/07
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 57
StPO § 454 Abs. 2
Prüfungsmaßstab für eine bedingte Entlassung aus der Strafhaft ist allein § 57 StGB. Die prozessuale Vorschrift des § 454 Abs. 2 S. 2 StPO verschärft die materiellrechtlichen Anforderungen an eine bedingte Entlassung nicht.
Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die bedingte Entlassung des Verurteilten aus der Strafhaft wird angeordnet.

Der noch nicht verbüßte Strafrest der durch Urteil des Landgerichts E vom 17.05.2004 (###############################) verhängten Freiheitsstrafe von fünf Jahren wird gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 1 StGB zur Bewährung ausgesetzt.

Die Bewährungszeit wird auf 3 Jahre festgesetzt.

Der Verurteilte wird der Aufsicht und Leitung des für seinen Wohnsitz zuständigen Bewährungshelfers unterstellt.

Er hat jeden Wechsel seines Wohnsitzes dem für die Bewährungsaufsicht zuständigen Gericht unverzüglich anzuzeigen.

Der Verurteilte hat binnen einer Frist von einem Monat ab Datum dieser Entscheidung zwecks Regulierung seiner Schulden mit einer Schuldnerberatung Kontakt aufzunehmen und mit dieser zusammenzuarbeiten. Er hat dies dem für die Bewährungsaufsicht zuständigen Gericht umgehend nachzuweisen. Eine weitere Beschlussfassung zur Konkretisierung dieser Weisung bleibt vorbehalten.

Die Belehrung über die Bedeutung der Strafaussetzung zur Bewährung sowie über einen möglichen Widerruf wird dem Leiter der Vollzugsanstalt übertragen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die in diesem Verfahren dem Verurteilten entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe:

I.

Das Landgericht Dortmund hat gegen den Verurteilten mit Urteil vom 17.05.2005 wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Mitsichführung eines sonstigen Gegenstandes, der seiner Art nach zur Verletzung von Personen bestimmt und geeignet ist, in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis, unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 46 Fällen und unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in 30 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Bei dem jeweiligen Betäubungsmittel handelte es sich zumeist um Amphetamin, Exstasy und Haschisch/Marihuana. Für die Einfuhrtat, die der Verurteilte zusammen mit seiner damaligen und auch jetzigen Lebensgefährtin begangen hatte, hat das Landgericht auf eine Einzelstrafe von 3 Jahren erkannt.

Zweidrittel der verhängten Strafe hatte der Verurteilte am 24.03.2007 verbüßt. Das Strafende ist auf den 24.11.2008 notiert. Die Staatsanwaltschaft Dortmund und der Leiter der Justizvollzugsanstalt C haben eine bedingte Entlassung befürwortet.

Die Strafvollstreckungskammer hat zur Vorbereitung der Entscheidung nach § 57 StGB ein Gutachten des Sachverständigen Dr. M eingeholt und den Verurteilten, nach weiteren Beweiserhebungen, am 01.08.2007 mündlich angehört. Mit der angefochtenen Entscheidung hat sie die bedingte Entlassung des Verurteilten aus der Strafhaft abgelehnt. Gegen den am 14.08.2007 zugestellten Beschluss hat der Verurteilte mit Schreiben vom 16.08.2007 - fristgerecht eingegangen am 20.08.2007 - sofortige Beschwerde eingelegt und diese durch seine Verteidigerin näher begründen lassen. Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm hat die Verwerfung des Rechtsmittels als unbegründet beantragt.

II.

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten ist begründet.

1.

Bereits der rechtliche Ausgangspunkt der Strafvollstreckungskammer ist fehlerhaft. Für eine Aussetzung des Strafrestes ist es - entgegen der Ansicht der Strafvollstreckungskammer - nicht erforderlich, "dass von dem Verurteilten keine Gefahr im Sinne des § 454 Abs. 2 StPO" ausgeht. Die Strafvollstreckungskammer nimmt § 454 Abs. 2 S. 2 StPO zum Prüfungsmaßstab und ist der Ansicht, dass "sofern ein Faktor, der für eine kriminelle Tätigkeit von Bedeutung werden kann, ersichtlich nicht wirkungslos geworden ist" nicht von der Ungefährlichkeit des Verurteilten ausgegangen werden könne. Es heisst in dem angefochtenen Beschluss weiter: "Alles andere würde nach Auffassung dieses Vorsitzenden über den Wortsinn des Gesetzes hinausgehen oder hinter ihm zurückbleiben und dem normierten Schutz der Allgemeinheit nicht gerecht werden".

Diese Ansicht ist rechtlich nicht haltbar. Prüfungsmaßstab für eine bedinte Entlassung zum Zweidrittelzeitpunkt ist allein gem. § 57 Abs. 1 StGB. Dieser verlangt (neben den weiteren dort genannten Voraussetzungen), dass die Reststrafenaussetzung unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann. Die Begutachtungsregelung des § 454 Abs. 2 S. 2 StPO ist eine rein prozessuale Norm und hat keine materielle Wirkung (OLG Frankfurt NStZ 1998, 639, 640; OLG Karlsruhe NStZ-RR 1999, 253; OLG Karlsuhe NStZ-RR 2000, 315; OLG Koblenz NJW 1999, 734; Tröndle/Fischer 54. Aufl. § 57 Rdn. 33; vgl. auch OLG Hamm Beschl. v. 17.03.1998 - 3 Ws 111/98). Gegen einen materiellrechtlichen Gehalt der Regelung des § 454 Abs. 2 S. 2 StPO, wonach das im Falle einer verhängten zeitigen Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren vor einer bedingten Entlassung einzuholende Gutachten sich zu der Frage äußern soll, "ob bei dem Verurteilten keine Gefahr mehr besteht, dass dessen durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fortbesteht", spricht allein schon seine gesetzliche Stellung im Verfahrensrecht (StPO) und der Wortlaut der Regelung. Es ist lediglich eine inhaltliche Anforderung an das Sachverständigengutachten bestimmt. Wollte man, wie es die Strafvoll-streckungskammer unter Berufung auf § 454 Abs. 2 StPO tut, einen vollständigen Risikoausschluss verlangen, so würden die Bestimmungen der §§ 57 Abs. 1, 67d Abs. 2 StGB leerlaufen (OLG Karlsruhe NStZ-RR 1999, 253 m.w.N.), denn diese verlangen schon nach ihrem Wortlaut gerade keine Gewissheit zukünftiger Straffreiheit (vgl. nur Schönke/Schröder-Stree, 27. Aufl. § 57 Rdn. 9; Tröndle/Fischer 54. Aufl. § 57 Rdn. 14 m.w.N.). Auch eine Einwirkung der prozessualen Norm des § 454 Abs. 2 StPO auf die materiellrechtlichen Aussetzungsanforderungen, etwa derart, dass bei Vorliegen einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren die Gewissheit der Ungefährlichkeit erforderlich wäre, lässt sich nicht begründen. Auch insoweit hätte eine Regelung im Normensystem der §§ 57 f. StGB näher gelegen, die aber gerade nicht erfogt ist. Aus der Gesetzesbegründung lässt sich ebenfalls für eine materiellrechtliche Wirkung des § 454 Abs. 2 StPO nichts herleiten (vgl. dazu OLG Frankfurt NStZ 1998, 639 f.).

2.

Die Voraussetzungen für eine bedingte Entlassung nach § 57 Abs. 1 StGB liegen hier vor. Insbesondere kann diese unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden. Hierbei bedarf es einer Abwägung zwischen dem Resozialisierungsinteresse des Verurteilten und dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit, bei der auch das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts für die Bestimmung des Maßes der noch hinnehmbaren Rückfallgefahr eine Rolle spielt (vgl. OLG Hamm Beschl. v. 17.03.1998 - 3 Ws 111/98). Eine Gewissheit zukünftiger Straffreiheit ist nicht erforderlich, ein vertretbares Restrisiko kann verbleiben (OLG Hamm NJW 2000, 2453, 2454), die zukünftige Straffreiheit muss lediglich wahrscheinlich sein (OLG Koblenz NJW 2000, 734, 735).

Der Senat hält eine erneute Straftatenbegehung durch den Verurteilten nach Gesamtabwägung aller relevanten Umstände - trotz Anhaltspunkten für ein gewisses Restrisiko - für unwahrscheinlich.

Der Verurteilte, der erstmals mit knapp ## Lebensjahren im Straßenverkehrsbereich strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, hat die bestraften Taten begangen, nachdem er als Selbständiger mit einer Firma im ################# im Jahre #### beruflich gescheitert war und deshalb seinerzeit Schulden von etwa 200.000,- Euro hatte, die er mit Gewinnen aus dem BtM-Handel abtragen wollte. Er ist ansonsten nur wegen Straßenverkehrsdelikten und wegen Steuerhinterziehung (die im Zusammenhang mit seiner gescheiterten beruflichen Selbständigkeit steht) mit Geldstrafen vorgeahndet gewesen. Er ist selbst nicht betäubungs- oder suchmittelabhängig und ist zum BtM-Handel durch Anfragen aus seinem damaligen Wohnumfeld, in dem sich viele BtM-Konsumenten und sonstige Personen mit Kontakt zu BtM befanden. Er war allerdings bereits in der Hauptverhandlung bzgl. der abgeurteilten Taten im wesentlichen geständig. Im Rahmen des Einweisungsverfahrens im Justizvollzug hat er sich ausweislich der Entschließung vom 28.07.2005 bereits als Erstverbüßer nachhaltig beeindruckt gezeigt. Hinsichtlich der indirekten Folgen und Auswirkungen von Drogenverkäufen, wie er sie getätigt hat, sei ihm durch die Problematik seines Sohnes aus einer früheren, inzwischen geschiedenen Ehe, der selbst BtM-Konsument ist und seit längerer Zeit mit Methadon (bis heute) substituiert wird, die Tragweite solchen Handelns vor Augen geführt worden. Diese Einschätzung wird auch durch den Sachverständigen geteilt. Er sieht die damalige Tat eingebettet in die seinerzeitige Lebenskrise des Verurteilten. Die Bereitschaft des Verurteilten, die Verantwortung für die Taten zu übernehmen und seine privaten Pläne, nämlich dass er nach der Entlassung wieder mit seiner Lebensgefährtin und temporär auch mit seinem Sohn zusammenleben will (mit denen er auch bisherige Freizeiten verbringt), lassen ein erneutes Abgleiten in das Drogenmilieu nicht erwarten. Für diese Einschätzung sprechen auch das beanstandungsfreie Vollzugsverhalten und der Umstand, dass der Verurteilte seit Februar 2006 zum Freigang zugelassen ist ohne, dass es zu erneuten Straftaten gekommen ist. Auch ist der Ort des Zusammenlebens mit seiner Lebensgefährtin (S) um einiges entfernt von dem früheren Wohnumfeld in D, in dem der Verurteilte in Kontakt mit Drogen gekommen war. Schließlich spricht auch der aktuelle gesundheitliche Zustand des Verurteilten eher gegen eine erneute Betätigung im Bereich des Drogenhandels. Bei ihm wurde ein Abszess im linken Unterbauch und eine Erstmanifestation von Morbus Crohn, einer chronischen entzündlichen Darmerkrankung, festgestellt und er wurde bereits deswegen operiert.

Ein gewisses Restrisiko sieht der Senat allerdings in der ungeklärten Schuldensituation des Verurteilten. Nicht zuletzt diese war es, die ihn zur Begehung der Straftaten verleitet hatte, und sie besteht bis heute fort. So beziffert der Verurteilte seine derzeitigen Schulden selbst mit 150.000,- bis 250.000,- Euro, ohne diese allerdings (mit Ausnahme von Schulden in Höhe von rund 19.000,- Euro bei einer Sparkasse und von rund 22.000,- Euro gegenüber der Stadt Z1 näher darlegen zu können, was eine immer noch bestehende Sorglosigkeit und mangelnden Antrieb, die Schuldenproblematik anzugehen, zum Ausdruck bringt. Dies in Kombination mit der bei den Verurteilten im Rahmen eines früheren freiwilligen Aufenthalts in der Psychiatrie diagnostizierten narzistischen Persönlichkeit und auch seinem früher bereits gegebenen sorglosen Umgang in Vermögensdingen stellt einen gewisses Risiko dar, dass der Verurteilte möglicherweise auch zukünftig die Lösung seiner Schuldenprobleme in der Begehung von Straftaten sieht. Auch ist seine Entlassungssituation nicht sonderlich aussichtsreich. Der Verurteilte selbst hat keine Aussichten auf eine Erwerbstätigkeit und strebt eine Erwerbsunfähigkeitsrente an und seine Lebensgefährtin ist als Spielhallenaufsicht tätig, so dass gehobene materielle Lebensverhältnisse nicht zu erwarten sind.

Dieses Risiko erscheint dem Senat angesichts der oben genannten für den Verurteilten sprechenden Umstände aber als vertretbar und hinnehmbar, zumal bei der Bewertung auch die Wirkung von Weisungen (hier der Weisung zum Aufsuchen und zur Zusammenarbeit mit einer Schuldnerberatung gem. § 56c Abs. 2 StGB und die Unterstellung unter einen Bewährungshelfer gem. § 56d StGB) zu berücksichtigen ist (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 200, 201). Diese mindern hier das bestehende Restrisiko zusätzlich.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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